Beton – es kommt darauf an, was man daraus macht

Beton – es kommt darauf an, was man daraus macht

21. November 2016 Aus Von Wolfgang Streblow

Zur Tagesordnungspunkt „Kunst im öffentlichen Raum“ des Schul- und Kulturausschuss am Dienstag erreichte uns ein Leser-Mail von Peter Hoffmann, Lippstadt

Beton – es kommt darauf an, was man daraus macht

Sauerbraten gehört noch immer zu meinen Lieblingsgerichten. In diesem aromatischem Essigsud mit Lorbeerblättern und Wachholderbeeren sollten die Bratenstücke schon eine Woche gelegen haben, bevor sie im Topf vor sich hin schmoren und diesen unwiderstehlichen Duft in der Küche verbreiten…

Den besten Sauerbraten machte meine Großmutter, jedenfalls aus der Perspektive lang zurückliegender Erinnerung an die seltenen Besuche in der engen Mansardenwohnung ihres kleinen Häuschens am Rande der Ruhrgebietsstadt. Gerne habe ich aus dem Fenster der Dachgaube über die Dächer geschaut. Herausragende Symbole der Stadt waren ein Förderturm, dessen Seilscheiben sich mit kurzen Pausen ständig drehten und eine große Jesusfigur, die mit ausgebreiteten Armen auf dem Dach des Krankenhauses Hoffnung verbreitete … Wie komme ich jetzt auf diese über 50 Jahre zurückliegenden Erinnerungen?

figur-marie-steinbeckerEine Begegnung in meiner Wahlheimat Lippstadt hat sie an die Oberfläche gespült. Es war die Begegnung mit einer alten Frau, die auf den ersten Blick eine gewisse Ähnlichkeit mit meiner Großmutter hat. Sie sitzt dort auf einer Bank und sieht die Menschen im Vorrübergehen skeptisch, aber nicht unfreundlich an.

Auf den dann schnell folgenden zweiten Blick war klar: Die Bank ist echt, die Oma nicht, sie ist aus – ja was eigentlich? Pappmache ist nicht wetterfest, zeitgemäß wäre Epoxidharz aber nein, diese Frau ist aus Beton, wie für die Ewigkeit gemacht. „Es kommt darauf an, was man daraus macht“, so warb die Bauindustrie in den 80er Jahren für diesen Stoff.  „Wer macht denn so was?“, ging es mir durch den Kopf.

Inzwischen weiß ich, dass es die Betonkünstlerin Bärbel Kolberg  war, die in Meerbusch arbeitet. Ich hatte ihre lebensechten Gestalten schon an ganz anderen Orten angetroffen. Da gab es einen alten Seemann, der auf einer Bank vor einem Ferienhaus an der Ostsee saß. Und auf der Heimseite der Künstlerin trifft man noch viele andere Zeitgenossen aus diesem Material, alle lebensecht und mit eigenem Charakter. Sie scheinen aus ihrem oft hochbetagten Leben direkt detailreich versteinert zu sein. Die Künstlerin beschönigt in dieser Hinsicht nichts und scheint Krampfadern geradezu zu lieben, in ihren Darstellungen nimmt sie da kein Blatt vor den Mund. Und doch stört mich irgendetwas bei der Durchsicht ihrer Bildergalerie: Alle diese alten Leute haben ein unglaublich freundliches Strahlen im Gesicht. Das „unglaublich“ meine ich hier wörtlich, macht die Vorstellung von verlängertem Leben in Beton so glücklich?

Dem zweiten Blick folgte jetzt noch ein dritter: Diese Figur dort an der Cappelstraße ist ja nicht irgendjemand (was ich übrigens schon ganz o.k. fände), sie stellt eine Persönlichkeit unserer Stadt dar: die Malerin Marie Steinbecker. Deshalb also kein Kehrblech mit Kartoffelschalen und Küchenmesser auf der Schürze, sondern eine Palette mit gemischten  Ölfarben. Der skeptische Blick ist wohl auf etwas zu Malendes gerichtet. Mein Interesse an Steinbeckers Bildern war wieder geweckt.

Einige davon hatten mich schon vorher beschäftigt. In dem vom Heimatbund Lippstadt in kleiner Auflage glücklicherweise herausgegebenem Künstlerbuch mit dem schlichten Titel „Den Kindern“ sind Szenen aus der Stadt und dem Umland von Lippstadt  dargestellt. Vielleicht Erinnerungen von Ausflügen mit der Freundin Magdalena Selter und den Kindern, Erzählanlässe aus einer heileren Welt, abseits vom Kriegsgeschehen, für Gute-Nacht-Geschichten wunderbar geeignet  –  so stelle ich es mir vor. In diesem Buch fand ich Bilder von Landschaften etwas außerhalb der Stadt, wie sie vor hundert  Jahren ausgesehen haben muss und das interessierte mich als Biologe. Diese Bilder illustrieren die „Beiträge zur Flora von Lippstadt“, die 1858 von Hermann Müller verfasst wurden. Die nüchtern wissenschaftlichen Aufzählungen der von Müller entdeckten Pflanzenarten und diese schlichten, schönen Aquarelle aus dem Kinderbuch von Marie Steinbecker passen wunderbar zusammen. Sie zeigen eine blühende Heidelandschaft  oder die ehemaligen Binnendünen, von denen durch den Sandabbau heute nur noch Reste zu erahnen sind.

marie-steinbeckerZum Kunstbesitz unserer Stadt gehört eine ganze Reihe von Steinbeckers Bildern, darunter auch ein Selbstportrait. Es zeigt eine selbstbewusste, stolze Frau, die den Betrachter direkt anschaut, als würde sie ihm zuhören und zum Dialog auffordern. Es will mir einfach nicht gelingen, dieses Gesicht in Einklang mit der Betonfigur dort auf der Bank zu bringen, auch dann nicht, wenn zwischen beiden Gesichtern wohl 45 Jahre verstrichen sein mögen. Es gibt auch ein Portrait, welches die Mutter Marie Steinbeckers zeigt, möglicherweise hat die Betonkünstlerin Frau Kolberg das als Anregung verwendet, aber selbst in diesem Fall wird die Frau dort auf der Bank dem starken Charakter, den das Gemälde zeigt, nicht gerecht.

Bleibt also die Frage: „Was will uns die Künstlerin Barbara Kolberg damit sagen“, was für ein Bild von Marie Steinbecker soll diese Darstellung vermitteln? Ist das überhaupt Kunst?

Ich begebe mich auf dünnes Eis – schon klar – aber die Frage werde ich stellen dürfen. „Kunst kommt von Können“ (kommt es wirklich), und können kann Frau Kolberg ihr Handwerk offensichtlich, diese Figur ist ein Hingucker und wenn das ihr Ziel ist, hat sie es erreicht. Das funktioniert aber auch ohne den Hinweis auf die Lippstädter Malerin.

Wäre diese Figur einfach nur diese Figur, die da sitzt um die Ecke zwischen Cappel- und Spielplatzstraße zu belebt, Vorübergehende zum „Beisitzen“ zu animieren, um ein lustiges Selfi zu verschicken mit der Botschaft: „bin gerade in Lippstadt…“, dann würde ich sagen: „O.k., warum nicht, machen andere Städte schon lange und Gartenbesitzer an Urlaubsorten auch – wenn sie es sich denn leisten können. Marie Steinbecker aber hat aus meiner Sicht etwas anderes verdient, um an sie zu erinnern. Sicher nicht diese hübsche, freundliche, aber irgendwie auch banale Figur von einer Bank auf einer Bank.

Autor: Parsprofoto

Peter Hofmann
http://www.parsprofoto.de